Joachim von Sandrart und die »Teutsche Academie«

Portrait Joachim von Sandrarts aus der »Teutschen Academie«
Portrait Joachim von Sandrarts aus der »Teutschen Academie«

Joachim von Sandrart (1606–1688) war zu Lebzeiten nicht nur als Autor und Kunstsammler, sondern vor allem als Maler bekannt. Zwar verblasste im Laufe der Jahrhunderte sein Ruhm als Künstler, doch gilt er immer noch als wichtigster deutscher Kunstschriftsteller zwischen Dürer und Winckelmann. Sein vielseitiges Schaffen vollzog sich vor dem Hintergrund eines kosmopolitischen Lebenslaufes mit Stationen in Frankfurt am Main, Prag, Venedig, Rom, Amsterdam, Augsburg und Nürnberg.

Erste künstlerische Anregungen erfuhr der in Frankfurt geborene Sohn niederländischer Einwanderer in seiner Heimatstadt bei Sebastian Stosskopf. Nach einer Stecherlehre bei Peter Isselburg und einem Aufenthalt bei Aegidius Sadeler in Prag zog er 1625 nach Utrecht, wo er in der Werkstatt von Gerrit van Honthorst arbeitete. Während seines Aufenthaltes in den Niederlanden kam es zur prägenden Begegnung mit Peter Paul Rubens. In Begleitung von Honthorst reiste Sandrart 1628 nach London, wo er Zugang zu den Kunstsammlungen von Charles I. und Thomas Howard 2nd Earl of Arundel erhielt.

1629 brach Sandrart gemeinsam mit seinem Vetter und Mentor Michel le Blon zu einer Reise nach Italien auf. Über Venedig und Bologna führte die Reise nach Rom, dem europäischen Zentrum des Hochbarock. Hier studierte Sandrart die Werke bedeutender Künstlerkollegen wie Pietro da Cortona, Gianlorenzo Bernini und Domenichino und schulte sich an den Vorbildern der Antike. Der Maler verkehrte unter anderem mit Claude Lorrain und Nicolas Poussin und stand in Kontakt mit der Schildersbent, der Vereinigung der holländischen und flämischen Künstler in Rom. Eine zukunfts­wei­sen­de Erfahrung war Sandrarts Tätigkeit für Vincenzo Giustiniani, einer der erfolgreichsten privaten Kunstsammler seiner Zeit. In Giustinianis Auftrag organisierte Sandrart die Zusammenarbeit der beteiligten Stecher an der »Galleria Giustiniana«, einem umfangreichen Konvolut von Kupferstichen nach Antiken der Sammlung, und lieferte selbst zeichnerische Vorlagen.

Im Frühjahr 1635 verließ Sandrart Rom und kehrte in seine Heimatstadt zurück. Während des zweijährigen Aufenthalts im vom Krieg geprägten Frankfurt schuf er viele Porträts, aber auch die von Elsheimer inspirierte Mondlandschaft mit Amor und Venus pudica. 1637, im Jahr seiner Heirat mit Johanna Milkau, zog er mit dieser nach Amsterdam, wo er durch die Vermittlung Le Blons weitere Bildaufträge erhielt. Den Porträts des Kurfürsten Maximilian von Bayern und seiner Frau folgte der Auftrag der zwölf Monatsbilder für Schloss Schleißheim, der ihm in Süd­deutsch­land zu großer Berühmtheit verhalf. Nach dem Tod seines Schwieger­vaters im Jahr 1645 diente Sandrart dessen Hinterlassenschaft, das Hofgut Stockau bei Ingolstadt, als neuer Wohnsitz. In den folgenden Jahren entstanden große Altar­bilder für den Würzburger Dom, den Bam­berger Dom, den Wiener Ste­phans­dom und für die Lambacher Klosterkirche. Anlässlich des Festessens zum Ende des 30jährigen Krieges am 25. September 1649 in Nürnberg mit Pfalzgraf Karl Gustav von Schweden und den Reichsständen schuf Sandrart das Große Friedensmahl.

Sandrarts Kunst brachte ihm den Titel eines Pfalz-Neuburgischen Rates sowie einen Adelstitel des österreichischen Kaiserhauses ein. Ab Mitte der 1660er Jahre widmete Sandrart sich verstärkt der Tätigkeit als Kunstschriftsteller und Lehrer. So war er maßgeblich an der Gründung der Kunstakademien in Nürnberg (1662) und Augsburg (1670) beteiligt. 1675 bis 1680 publizierte er in Nürnberg die »Teutsche Academie«. Die Herausgabe des ersten Teils führte 1676 zu Sandrarts Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft, jene von Fürst Ludwig zu Anhalt-Köthen ins Leben gerufene Sprachgesellschaft, die darauf zielte, die deutsche Sprache zu för­dern und zu verfeinern. Sandrart starb 82jährig in Nürnberg und wurde auf dem Johannisfriedhof beigesetzt.


Die »Teutsche Academie«


Titelblatt der »Teutschen Academie«, Nürnberg 1675
Titelblatt der »Teutschen Academie«, Nürnberg 1675

Joachim von Sandrarts »Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste« gehört zu den wichtigsten Quellentexten zur Kunst in der frühen Neuzeit. In den drei  in Nürnberg er­schie­nenen Bänden werden vielfältige Themen be­han­delt: Sie reichen von allgemeinen Ab­hand­lungen zur antiken Architektur und Skulptur, zu Theorie und Vorbildern der Malerei, über die Viten antiker und moderner Künstler verschiedener Länder – die auch eine ausführliche Biographie Sandrarts enthalten – und Aus­füh­rungen über die Kunst­samm­lungen und Schatz­kam­mern seiner Zeit bis hin zu zwei ikonographischen Schriften.

Der 1675 erschienene ersten Teil der »Teutschen Academie« war den »Kunst-Helden und Kunst­liebenden« (also den Künstlern und Kunst­samm­lern seiner Zeit) gewidmet. Im Aufbau orientiert Sandrart sich an dem Modell, das Giorgio Vasari mit seinen Viten vorgelegt hatte: der Theorie über die drei Künste folgen die Biographien der bedeutendsten Künstler der Neuzeit. Der zweite, 1679 herausgegebene Teil er­wei­tert die theoretischen Bücher über die Kunstgattungen durch umfangreiche antiquarische Ausführungen. Diesem Band wurde eine Übersetzung der Ovid-Metamorphosen-Paraphrase von Karel van Mander beigebunden. 1680 publizierte Sandrart als Ergänzung des Werks eine mit neuen Illustrationen versehene Übersetzung von Vincenzo Cartaris Imagini de i Dei de gli antichi.

Sandrarts Schriften sind als das Ergebnis seiner lebenslangen Beschäftigung mit Kunst und des intensiven Austausches mit Kollegen, Gelehrten und Auftraggebern in ganz Europa anzusehen. Die von mehreren Literaten und Philologen re­dak­tionell begleitete Publikation stellt sich als ein Arrangement von Zitaten älterer Texte dar, die kommentiert, durch eigene Erfahrungen oder neuere Erkenntnisse erweitert und durch zahlreiche Kupferstiche bereichert worden sind. Vor allem Sandrarts Berichte aus erster Hand über Künstler, Kunstwerke und Sammlungen machen die »Teutsche Academie« zu einer wertvollen Quellenschrift für das europäische Kunstschaffen des 17. Jahrhunderts.

Als Vorlagen für die Künstlerbiographien nutzte Sandrart neben den Viten Giorgio Vasaris und dem Schilder-Boeck des Karel van Mander auch Schriften von Carlo Ridolfi, Cornelis de Bie und Johann Neudörffer. Die Passagen über antike Archi­tek­tur setzen sich unter anderem aus Übersetzungen von Sebastiano Serlios Regole generali di Architettura und Andrea Palladios Quattro Libri dell’Architettura zusammen. Darüber hinaus flossen auch zeitgenössische Erscheinungen in die »Teutsche Academie« ein, wie beispielsweise Giovanni A. Caninis Iconografia (1669) oder Caspar Bartholinus De tibiis (1677).

Als erste enzyklopädische Kunstgeschichte in deutscher Sprache, als Kom­pi­la­tions­text zu den Grundlagen der künstlerischen Ausbildung, der eine Übersetzung von Fachliteratur aus dem Niederländischen, Französischen und Italienischen ins Deutsche einschloss, entsprach das Werk den Ideen der Fruchtbringenden Gesellschaft ebenso wie den Vorstellungen des Pegnesischen Blumenordens. Sandrarts Überlegungen und Wünsche, die Erfahrungen in den Kunstmetropolen Europas, vor allem im ›blühenden‹ Italien, für das eigene Land fruchtbar zu machen und mit den Vertretern der eigenen nationalen Identität (Malern wie Dürer, Grünewald und Elsheimer) in Einklang zu bringen, trafen sich mit denjenigen beider Sozietäten. Diese gemeinsamen Ziele und Grundsätze – das Vorbild Antike, die Sehnsucht nach einer blühenden Kunstproduktion, das Wetteifern mit dem europäischen Ausland – finden in der »Teutschen Academie« wie in Sandrarts Gemälden ihren Niederschlag.

Um die Inhalte seiner Schriften einer internationalen Leserschaft zugänglich zu machen, veranlasste Sandrart ab 1680 lateinische Ausgaben über die drei Künste: »Sculpturae veteris admiranda« (1680), »Academia nobilissimae artis pictoriae« (1683) – mit einigen wichtigen Ergänzungen in den Lebensläufen – und das »Romae antiquae et novae theatrum« (1684).